Labor stellt sich auf immer neue Virus-Varianten ein

Diplombiologin Eleonora Wasmund und Prof. Dr. med. Egon Werle bei der Auswertung am Analysensystem BD MAX.

Interview mit dem Chefarzt des Instituts für Laboratoriumsdiagnostik, Mikrobiologie und Transfusionsmedizin des Klinikums zur Entwicklung bei den Coronavirus-Testverfahren

Anfang März 2020 wurden die Proben aus dem Dietrich-Bonhoeffer-Klinikum noch nach Berlin und Greifswald geschickt – durchschnittlich zehn am Tag. Heute betreibt das Institut für Laboratoriumsdiagnostik, Mikrobiologie und Transfusionsmedizin des Klinikums nahezu rund um die Uhr mehrere eigene Geräte für die PCR-Untersuchung auf das Coronavirus SARS-CoV-2, wertet durchschnittlich täglich mehr als 500 Proben aus, vor allem von Patienten und Mitarbeitenden des Krankenhauses. Warum die Zahl der Tests aktuell rückläufig ist und nicht alle positiven Proben auf Mutationen getestet werden müssen, erklärt Chefarzt Prof. Dr. med. Egon Werle.

Momentan testet Ihr Labor monatlich etwa 11.000 Abstriche auf das Coronavirus. Wie sah das zu Hoch-Zeiten aus?

Die höchste Zahl hatten wir im Januar mit 13.500 Testungen, seit Februar sind es ca. 11 500 bis 12 000 Tests. Aktuell geht das Infektionsgeschehen zurück.

Das zeigt sich sicher auch beim Anteil der positiven Ergebnisse.

Ja, im Schnitt waren im Januar noch knapp sieben Prozent positiv, jetzt nur noch zwei Prozent.

Wem „verraten“ Sie denn die Ergebnisse?

Unser Institut für Hygiene wird natürlich über alle positiven Patientenbefunde informiert. Über das Deutsche Elektronische Melde- und Informationssystem für den Infektionsschutz (DEMIS) gehen unsere positiven Ergebnisse automatisiert an die Gesundheitsämter und das RKI (Robert-Koch-Institut). Außerdem geben wir eine Teststatistik an den ALM e.V., einen Zusammenschluss der akkreditierten Labore in der Medizin, die die Statistiken aufbereiten und auch ans Robert-Koch-Institut leiten. Wenn die Zustimmung vorliegt, übermitteln wir die Ergebnisse zudem an die Corona-Warn-App. Das kommt aber leider selten vor.

Werten Sie nach wie vor auch Proben von niedergelassenen Ärzten aus?

Das sind extrem wenige, nur ein bis zwei Prozent unserer Tests. Etwa 60 Prozent unserer PCR-Tests werden für stationäre Patienten durchgeführt, der Rest entfällt auf andere Krankenhäuser und Mitarbeitende, wobei letztere seit einigen Wochen auch noch mittels Antigen-Tests untersucht werden.

Als das Labor im März 2020 ein leistungsfähigeres Gerät für PCR-Tests in Betrieb nahm, war es ein enormer Vorteil, innerhalb weniger Stunden Ergebnisse zu haben. Allerdings war es schwierig, die dafür notwendigen Testkits und Verbrauchsmaterialien in ausreichender Zahl zu bekommen. Gibt es heute auch noch Engpässe?

Nein, wir erleben keine so dramatischen Lieferengpässe mehr wie im Frühjahr und Sommer 2020. Die Firmen haben die Produktionskapazität stark erhöht. Zudem  entwickeln sie ihre Testreagenzien kontinuierlich weiter  und passen die Teste an die verschiedenen Gen-Regionen des Virus an. Unsere Mitarbeitenden sind gut eingearbeitet und hochmotiviert, das freut mich besonders.
Aktuell haben wir zwei Systeme für die Routine und ein vollautomatisiertes Gerät für eilige Proben, z.B. aus der Notaufnahme. Die Analysen laufen Tag und Nacht und auch am Wochenende und an Feiertagen. Mit der aktuellen Ausstattung gönnen wir uns nachts bis zu vier Stunden Pause.

Als die ersten Mutationen aufkamen, wurden die Labore aufgefordert, bis zu 5 Prozent der positiven Proben zur Sequenzierung auf Mutationen einzuschicken. Wie sehen denn die bisherigen Ergebnisse aus?

Wir haben bisher ca. 120 Proben weggeschickt, von denen über 95 Prozent die britische Mutante aufwiesen. Wir freuen uns, dass wir mittlerweile die Proben zur Sequenzierung an die Uniklinik Greifswald schicken können.

Ihr Labor kann ja selbst mit einer speziellen PCR einige Mutationen nachweisen? Machen Sie das mit allen positiven Proben?

Nein, wir untersuchen nur einen Teil der positiven Proben, auch weil die Mutationsanalyse aktuell keine große Bedeutung mehr hat wegen der hohen Prävalenz der britischen Mutante. Wenn sich erwartungsgemäß neue Mutationen verbreiten, ist ein Nachweis wieder eher interessant. Daher ist es vielleicht sinnvoll, insbesondere Flugreisende aus den entsprechenden Ländern genauer zu untersuchen.

Ende Mai wurde die neue indische Variante mit der Bezeichnung B.1.617.2 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) offiziell als „besorgniserregende Variante“ (VOC) eingestuft. Die Mutationen sollen zu einer geringeren humoralen und zellulären Immunantwort führen und eine deutlich höhere Übertragbarkeit als die britische Variante aufweisen. In Indien macht diese Variante bereits etwa 88 Prozent der Fälle aus. In Deutschland liegt der Anteil laut RKI noch bei nur zwei Prozent. Im Bedarfsfalle könnten wir – wobei man die klinische Relevanz diskutieren müsste – mit zwei Tests 7 Mutationen nachweisen und so eine Differenzierung ermöglichen zwischen der britischen, süd­afri­kanischen, brasilianischen, dänischen, kalifornischen und indischen Variante.

Wenn man sieht, wie viele Mutationen des Coronavirus schon nachgewiesen wurden, müssen wir uns wohl noch auf einiges gefasst machen.

Wir kennen das ja vom Grippevirus, dass sich das Virus-Erbgut jedes Jahr verändert. Deshalb gibt es immer die Unsicherheit, ob der aktuelle Impfstoff passt. Wenn man Glück hat, entwickelt man eine auf den aktuellen Stamm gut passende Immunantwort, aber das klappt nicht immer. Einen Grippe-Impfstoff an einen neuen Virusstamm anzupassen, dauert sehr lange.
Mit den Corona-Impfstoffen auf Messenger-RNA-Basis hofft man hingegen, dass man innerhalb von Wochen den Bauplan für das SARS-CoV-2-Virus-Protein so modifizieren kann, dass die menschliche Immunantwort auch neue Virusmutanten erfasst.

Glücklicherweise sinken zurzeit die Inzidenzen und wir erleben eine langsame Wiederbelebung des öffentlichen Lebens.

 

⇒ Lesen Sie hier ein weiteres Interview mit dem Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin über die Behandlung von COVID-Patienten im Klinikum. 

Die Medizinisch-Technische Laborassistentin Ronja Kostrzewski gibt PCR-Ergebnisse am Seegene Viewer frei zur Übertragung an die Labor-EDV.

Diplombiologin Eleonora Wasmund entnimmt Proben aus dem Analysesystem BD MAX.