Mahnwachen und weitere Petition für die Kleinsten

Rund 250 Beteiligte bei Aktion vor der AOK

"Das muss unbedingt bleiben! In unserer Familie wäre es eine Katastrophe gewesen, hätten wir bis Greifswald oder Berlin fahren müssen. Das Ganze ist so schon ein Kraftakt", sagt Henriette Klaus. Die junge Frau hat ihre Zwillinge Levke und Hanna vor vier Jahren im Dietrich-Bonhoeffer-Klinikum zur Welt gebracht - das eine Mädchen 900, das andere 870 Gramm schwer. Solche kleinen Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht unter 1250 Gramm sollen ab 2023 laut Gesetz in Neubrandenburg künftig nicht mehr behandelt werden, weil hier die Mindestmenge von dann 20 solcher Frühchen nicht erreicht wird. "Mir tut es für alle Eltern leid, die davon betroffen sind", so Henriette Klaus. Denn ihre Zwillinge, die als Notfall so früh ans Licht der Welt geholt werden mussten, waren fast 100 Tage im Klinikum. "Wir haben uns so gut versorgt gefühlt", sagt ihre Mutter und Zwillings-Oma Regina Klaus. Die Familie aus der Nähe von Neubrandenburg hat bereits eine ältere Tochter; gar nicht auszudenken, wenn der Weg zwischen Zuhause und Krankenhaus viel länger gewesen wäre. Deshalb war es keine Frage, dass sie samt ihrer Kinder bei der Mahnwache zum Erhalt des Perinatalzentrums Level 1 am 4. Oktober vor dem  Neubrandenburger AOK-Gebäude dabei waren. Mit ihnen fanden sich rund 250 Menschen zum stillen Protest ein, darunter zahlreiche Mitarbeitende aus dem Klinikum, aber auch andere Unterstützer aus der Region, Stadtpolitiker und Mitstreiter der Biker Friends MV, die die Aktion organisiert haben.

Stadtpräsident Jan Kuhnert sicherte dem Klinikum die volle Unterstützung der Stadt zu in der Hoffnung, dass der "völlig gerechtfertigte Kampf für die Frühchenstation doch noch gewonnen werden kann". Renate Krajewski, Vorsitzende der Mitarbeitervertretung, kündigte an, erneut eine Petition auf den Weg zu bringen. Wenn sie angenommen wird, müssen innerhalb von vier Wochen 50 000 Unterschriften dafür gesammelt werden. Eine Mahnwache, so verständigten sich die Biker Friends MV und die Mitarbeitervertretung des Klinikums, soll zunächst monatlich stattfinden, das nächste Mal voraussichtlich auf dem Marktplatz.

Er sei fast beschämt, dass man den Protest für kranke Kinder auf die Straße bringen müsse, sagte Dr. med. Sven Armbrust, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin. Er wies darauf hin, dass - wenn doch noch eine Ausnahmegenehmigung erreicht werden könne -, dies nur für ein Jahr gelten werde und dann die Mindestmengen wieder steigen, ab 2024 auf 25 frühgeborene Kinder unter 1250 Gramm Geburtsgewicht. Deshalb sei es wichtig, dass die Politik handle und das entsprechende Gesetz ändere. Die Entscheidung, ob eine Mindestmenge ausgesetzt werden kann, müsse beim Landes-Ministerium liegen. Denn man kämpfe zwar heute für die Frühchen, aber es gebe noch andere und künftig immer mehr Mindestmengen, die insbesondere im ländlichen Raum die Versorgung gefährden - beispielsweise die Operation von Speiseröhrenkrebs, die dem Klinikum ab 2023 ebenfalls aufgrund fehlender Mengen trotz sehr guter Qualität verboten sei.